Die Geburt der Transmoderne und die Kreolisierung der Welt

Symposium

Wintersemester 2016/17

Fachbereich Theorie

Kuratiert von

Katja Diefenbach

Vorlesungen

Prof. Katja Diefenbach begrüßt die Konferenz-Teilnehmer/innen im Württembergischen Kunstverein

Angesichts wachsender europäischer Rassismen und fiktiver Vorstellungen einer rein europäischen Kulturmodernität veranstalten die Merz Akademie und der Württembergische Kunstverein eine halbtägige Konferenz zum Thema „Transmoderne und Kreolisierung der Welt“.

Die Konferenz widmet sich der Frage, wie die Moderne aus den Ozeane umspannenden Kontaktzonen kapitalistischer Kolonisierung entstanden ist. Seit dem späten 15. Jahrhundert sind unterschiedlichste Hemisphären, Orte und Zeiten durch den Sklavenhandel und die Plantagenwirtschaft, den Bergbau und die Schifffahrt in immer schnelleren Rhythmen gewalttätig miteinander verbunden worden und haben einen historisch ungekannten Kreolisierungsprozess ausgelöst. Die europäischen Gründungserzählungen, die die Moderne im Dreischritt von Renaissance (Aufklärung), Reformation (Protestantismus) und Revolution (universalem Recht) als Selbstgeburt europäischen Geistes erklären und auf griechisch-römische Ursprünge zurückprojizieren wollen, verlieren in dieser Perspektive ihren Sinn. Als eigentliche Herausforderung der Moderne begreift der Workshop deshalb die Frage, wie dem transatlantischen Kreolisierungsprozess Kräfte entsprungen sind, die die Inegalität europäischer Regierungs- und Ausbeutungssysteme grundlegend in Frage stellen. Kurz: Diskutiert wird, wie sich der ‘schwarze Atlantik’ zwischen Afrika, Europa und den beiden Amerikas in einen Raum der Überlappung, der Kollision und der hypermodernen Kreation non-konformer Ausdrucks- und Handlungsformen verwandelt hat, aus dem nicht nur die Erinnerung an den Terror der kolonialen Vergangenheit, sondern auch die Zukunft eines anderen, transmodernen Westens hervortritt. Überprüft werden soll dabei die Produktivität der Begriffe der Universalgeschichte, der Transmodernität und der Kreolisierung, um dem imaginären, aber umso realitätsmächtigeren Stereotyp einer eurozentrischen Welt entgegenzutreten, die die Moderne als europäische Leistung idealisiert und die Verbindung von Aufklärung und Schrecken, Rationalität und Irrationalität verleugnet.

Als Ausgangspunkt wählt der Workshop ein geschichtliches Fallbeispiel von paradigmatischer Qualität: die Wechselwirkungen zwischen der Französischen (1789–1799) und der Haitianischen Revolution (1791–1804). Getragen von bald Hunderttausend schwarzer Sklav/innen stellte die Haitianische Revolution den ersten Sklavenaufstand der Weltgeschichte dar, aus dem eine unabhängige Republik hervorging. Ihre Verfassungstexte übertrafen den europäischen Universalitätsanspruch in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht, denn sie sprachen auch denen Freiheit und Staatsbürgerschaft zu, die in der französischen Deklaration der Bürger- und Menschenrechte von 1789 unberücksichtigt geblieben waren – den Versklavten der Republik. Aufgrund ihrer kämpferischen Entschiedenheit für die Sache der Freiheit, ihrer militärischen Schlagkraft und ihrer Idee universaler Staatsbürgerschaft motivierte die Haitianische Revolution nicht nur die französische Revolutionsregierung zur (vorübergehenden) Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien, sondern inspirierte womöglich auch Hegels Emanzipationserzählung menschlichen Selbstbewußtseins, die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft in der Phänomenologie des Geistes. Hegel schloss den anti-kolonialen Freiheitskampf Haitis in einen Diskurs universaler Emanzipation ein, aus dem er Afrika als angeblich vorgeschichtliches Land träumenden Geistes gleichzeitig ausschloss. Dennoch nutzten im 20. Jahrhundert afro-karibische Leser wie Aimé Césaire oder Frantz Fanon in einem Akt der Wiederaneignung, Kreolisierung oder Kannibalisierung Hegels die Herr-Knecht-Dialektik für die Artikulation anti-kolonialer Freiheitskonzeptionen.

Die (nach)revolutionäre Geschichte Haitis vermittelte aber noch eine weitere paradigmatische Erfahrung der Moderne: Mit der Fortsetzung des agro-militärischen Plantagensystems noch unter den haitianischen Revolutionsführern Toussaint L’Ouverture und Jean-Jacques Dessalines manifestierte sich in Haiti das eminent moderne Problem einer Erneuerung überwunden geglaubter Herrschaftsformen, das auch vom Verlauf der Französichen Revolution aufgeworfen worden ist. Diese unvollendeten und abgetriebenen Revolutionen der Weltgeschichte verweisen geschichtsphilosophische Narrative fortschreitender historischer Vernunft in den Bereich quasi-religiöser Fiktionen und motivieren eine historische Dialektik zu entwerfen, die Zeitlichkeit diskontinuierlich und in Abweichung von antizipierten Zielen und Enden denkt. Die Aktualität der haitianischen Geschichte liegt dabei nicht nur (negativ) in der Eindringlichkeit, mit der sie von der Unmöglichkeit zeugt, politische Freiheit ohne ökonomische Gleichheit erreichen zu wollen. Sie verweist auch (positiv) auf die radikalen Kräfte, die im Kampf um Gleichfreiheit von den avantgardistischen Umarbeitungen west- und zentralafrikanischer Riten in den beiden Amerikas, der Karibik und einer sich globalisierenden Diaspora ausgegangen sind.

Iris Dressler, Direktorin des WKV

Diese Kräfte stehen für die politische und kulturelle Wirkmächtigkeit einer Universalität ein, die sich als Heterogenese ereignet, als Verbindung oder Vermischung von Positionen ohne Ursprungsanspruch, als métissage oder mestizaje ohne Identitätsanspruch, die vom aktuellen Rechtspopulismus negiert und vom liberalen Mainstream ignoriert wird. Sie zwingt, in der heutigen Zeit zwischen kulturell virulenten, politisch aktiven Differenzen, die um Gleichfreiheit ringen, und deren multikultureller Verwaltung (oder monokulturellen Unterschlagung) zu unterscheiden. Die Konzeptualisierung solcher Kräfte ist Frage und Problem des Workshops.