Im Mittelpunkt des Vortrags steht eine in der Zeitschrift documents erprobte ‚sous-realistische‘ Bildpraktik, die ich als eine Entwendung und Fortentwicklung der Pathosformel Aby Warburgs verstehe. An zwei Beispielen, dem großen Zeh und den Fliegen auf Klebestreifen, wird zunächst die fotografische Isolierung und Dramatisierung einzelner menschlicher Körperfragmente oder von kaum wahrnehmbaren tierischen Verhaltensweisen ‚im Ausnahmezustand‘ beschrieben: Dass die Wahl im letzteren Fall auf das Insekt fällt, hängt mit dessen Namensgebung zusammen (insecare: einschneiden), die sich auf die stark voneinander abgesetzten Körperteile dieses ‚defigurierten‘ Lebewesens bezieht. In einem zweiten Schritt werden die expliziten Bildlektüren untersucht, mit denen einmal im medientheoretischen Zusammenhang (Marshall McLuhan), das andere Mal im Rahmen eines kurzen Prosastücks (Robert Musil) dieses Bildmaterial, das sich jeder Stilisierung zu entziehen scheint, in eine (brüchige) theoretische Formel über die Wirksamkeit der Medien übersetzt oder mit den Mitteln der Literatur als exemplarischer Ausdruck des entstellten Todes auf dem Schlachtfeld entfaltet wird. Der Vortrag expliziert damit jene Dimension utopischer Bilder, die im Konzept für diese Ringvorlesung als ein „zugleich mentales und materielles, kritisches und produktives, nachahmendes und schöpferisches Prinzip“ verstanden wird.